Releases

EYES TO THE SUN

Camila Nebbia / Leo Genovese / Alfred Vogel

240517_eyes_to_the_sun_cover_3000.jpeg

im Vertrieb von Galileo Music Gmbh

Format:
Digital
Vinyl

Album: EYES TO THE SUN
Barcode: 912001193117 7
Kat-Nr: Boom1177

Vinyl + Digital RELEASE 20. September 2024

Camila Nebbia, Sax
Leo Genovese, Piano + Soprano Sax
Alfred Vogel, drums

Bei jedem neuen Album zählt einzig das, was man hört. Das Vorher und Nachher spielt für das Resultat einer konkreten Aufnahme bestenfalls eine untergeordnete Rolle. Eigentlich. Denn es gibt eben jene Alben, die auf einer derart scharfen Schneide zwischen Vorher und Nachher entstanden sind, dass für die Protagonisten nach der Einspielung nichts mehr so war wie vorher. „Eyes To The Sun“, ein Treffen der beiden Argentinier Camila Nebbia am Saxofon und Leo Genovese am Klavier mit dem österreichischen Drummer Alfred Vogel, ist so eine Platte.

Doch fangen wir am Anfang an. Auf „Eyes To The Sun“ finden drei hochgradig unterschiedliche Charaktere auf Anhieb genau jene Überschneidungen, die spielerisch wie charakterlich jede Definition eines kleinsten gemeinsamen Nenners ad absurdum führt. Ständig entstehen in dieser Troika neue Konstellationen. Alfred Vogel hatte mit Camila Nebbia bereits einmal erfolgreich in Berlin zusammengespielt und sofort festgestellt, dass da noch mehr geht. Weitere gemeinsame Gigs folgten, bis beide zu der Überzeugung kamen, diese Erfahrung auch nach Argentinien tragen zu müssen. Ein gemeinsamer Verbündeter war schnell in dem Pianisten Leo Genovese gefunden. Genovese und Vogel schätzen sich seit Jahren als "Cosmic Brothers" und inspirieren sich ständig gegenseitig. Eigentlich war der renommierte Pianist, der unter anderem mit Wayne Shorter, Joe Lovano und Jack De Johnette gespielt hat, im vorgesehenen Zeitraum ausgebucht, doch urplötzlich öffnete sich ein Fenster und der Pianist stieß auf kürzestem Weg zu Nebbia und Vogel hinzu. Ohne auch nur den Hauch einer Probe oder jedweder Absprache buchte man last minute ein Studio und machte einen Tag lang Aufnahmen.

Nun gehen ja freie Improvisationen oft schnell ins Nirvana und können auf Dauer sehr ermüdend sein. Nebbia, Genovese und Vogel gelingt es aber auf verblüffende Weise, aus dem freien Fluss der unlimitierten Imagination richtige Songs freizulegen. Das fühlt sich dann an, als würde man mit einem Floß die vielen Biegungen eines völlig naturbelassenen Flusses entlangfahren, und plötzlich ragt ganz unerwartet eine Burg vor dem Auge empor. Die Formel für diesen Effekt benennt Alfred Vogel in der Liebe und dem Respekt der drei Beteiligten auf einem Level, das sich durch die Musik selbst erklärt. „Wir fühlen uns einfach miteinander wohl, musikalisch wie menschlich. Daraus entsteht etwas, wofür es keine Begriffe gibt. Deshalb können wir es eben nur in dieser Musik ausdrücken.“
Doch worin liegen nun die Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Camila Nebbia, Leo Genovese und Alfred Vogel. Alle haben ein spezielles Verhältnis zum gemeinsam gewölbten architektonischen Klangraum, nur ihr Umgang mit diesem Gewölbe differiert. Die Saxofonistin öffnet Räume, der Pianist verdichtet Räume, und der Drummer findet Zwischenräume. Räume brauchen Zwischenräume, in denen man sich mit seinen individuellen Bedürfnissen bedingungslos aufhalten, verlieren und wiederfinden kann. Das trifft auf Musikerpersönlichkeiten genauso zu wie auf ihre Hörerschaft. Es geht um ein Angebot von Meeting Spots. Aber nicht nur das, denn in diesen Zwischenräumen kann man auch die Sinnhaftigkeit des eigenen Tuns hinterfragen.
Alfred Vogel hat sich ein Leben lang durch eine Welt der Zwischenräume bewegt, die er zum großen Teil selbst initiiert hat. In einer Zeit, in der geradezu inflationär Netzwerke gebildet werden und das Networking oft wichtiger genommen wird als die Inhalte, um deren Vermittlung es letztlich gehen sollte, hat er eher eine Art Myzelium geschaffen, über dessen feine Kapillaren weltweit ohne großes Brimborium Informationen ausgetauscht und spielerische Grundlagen geschaffen werden wie eben für „Eyes To The Sun“. Dinge kommen nicht zusammen, weil sie im grünen Zoom angeregt werden, sondern weil es gar keine andere Möglichkeit gibt, als dass sie zusammenkommen. Es passiert einfach. „Mir geht es nicht um ein Business-Modell, sondern ich suche nach den Leuten, mit denen ich mich gern austausche und mit denen ich abhängen will, egal ob bei mir zuhause im Bregenzerwald, in Berlin oder eben in Buenos Aires“, so Vogel. „Ich könnte niemals mit Leuten arbeiten, mit denen ich ein zwischenmenschliches Unbehagen verspüre. Nur so kann die Musik Kraft entfalten.“

Und damit kommen wir zum Danach. Drei Wochen nach den Aufnahmen zu „Eyes To The Sun“ – den Albumtitel gab es damals noch nicht – erhielt Alfred Vogel völlig überraschend eine Krebsdiagnose. Er musste auf der Stelle ins Krankenhaus, wo er für mehrere Monate durch die Hölle ging. Als er mit einer positiven Prognose das Krankenhaus wieder verließ, und es auch nach dem Danach noch ein weiteres Danach gab, war die Welt für ihn eine andere, und alles, was bis zum Zeitpunkt dieses besonderen Tages in Buenos Aires passiert war, stand in einem anderen Licht. Alfred Vogel war schon immer mit einer großen Klarheit durchs Leben gegangen, doch nie zuvor war ihm derart bewusst geworden, wie schwer jeder einzelne Augenblick im Leben wiegt. Es gibt keine wichtigen und unwichtigen Momente im Leben, sondern jede Sekunde, die wir auf diesem Planeten verbringen können, zählt.
Der Titel „Eyes To The Sun“ wurde nicht zufällig gewählt, sondern trägt dieser Erkenntnis Rechnung. Inwiefern Alfred Vogels Unterbewusstsein während der spontanen Aufnahmen schon auf den fortgeschrittenen Zustand der Krankheit reagiert und sie deshalb zu einem derart intensiven Erlebnis gemacht hat, gehört ins Reich der Spekulation. Auf jeden Fall ist da etwas, das das Vorher hörbar vom Danach trennt. Und so ist es auch beim Hören.
„Eyes To The Sun“ ist ein Moment, in dem die Zeit stehenbleibt, um alle Werte umzuwerten. Ein Album zum Innehalten, zum sich selbst Spüren und einem anderen Menschen in die Augen zu schauen, egal ob er gerade leibhaftig vor uns steht oder nicht. Musik, die mehr ist als Musik, keine Übermusik, sondern Musik über das Leben.

Line-up

Camila Nebbia

Saxophone

Leo Genovese

Piano + Soprano Saxophone

Alfred Vogel

drums

Credits

Recorded, mixed and mastered in Buenos Aires, Dec 2023
by Augustin Silberleib at Estudios Dr. F
Artwork by Camila Nebbia
Design by Lucas Dietrich
Produced by Alfred Vogel